Seit Jahrzehnten wurde es von Politikern in fast jedem Wahlkampf versprochen. Ab dem nächsten Jahr kommt nun aber tatsächlich das Aus für die „kalte Progression“. Die schleichende Steuererhöhung durch inflationsbedingte Einkommenszuwächse hat damit ein Ende. Das soll die Steuerzahler in den Jahren 2023 bis 2026 um voraussichtlich 20 Milliarden Euro entlasten. Der Finanzminister verliert dadurch in Zukunft allerdings sehr viel Spielraum für große Steuerreformen.
Die kalte Progression ist ab 2023 Geschichte
Kaum einer hat mehr daran geglaubt, nun ist es aber tatsächlich passiert: Die Regierung löst die Ankündigung ein, die „kalte Progression“ abzuschaffen. Die Maßnahme kommt mit dem Teuerungs-Entlastungspaket II. Von der aktuell höchsten Inflation seit mehr als 40 Jahren getrieben, soll es den privaten Konsum stärken.
Das folgende Beispiel macht nachvollziehbar, wie es zur Abschaffung der „Kalten“ kommt:
Helga ist verheiratet und Mutter zweier schulpflichtiger Kinder. In ihrem Halbtagsjob kommt sie heuer auf ein Jahreseinkommen von EUR 11.000,–. Exakt bis zu diesem Betrag fallen in Österreich derzeit 0 % Einkommensteuer an. Aufgrund einer inflationsbedingten Gehaltserhöhung wird Helga 2023 EUR 11.693,– verdienen. Sie bekommt also im nächsten Jahr nominell um EUR 693,– mehr als heuer. Die zweifache Mutter kann sich aber keinesfalls mehr leisten, denn die Preise sind entsprechend angestiegen. Trotzdem überschreitet ihr Einkommen die Grenze von EUR 11.000,–. Sie müsste von EUR 693,– 20 % Einkommensteuer zahlen. Der Finanz würden damit EUR 138,60 an Steuermehreinnahmen zufließen, obwohl Helga real gar nicht mehr verdient als 2022. Dieser „Kalte-Progressions-Effekt“ wird nun beseitigt. Die Steuerfreigrenze steigt 2023 auf EUR 11.693,–, womit Helga weiterhin keine Einkommensteuer bezahlen muss.
Anpassung auf fast allen Tarifstufen
Ähnliche Effekte wie im angeführten Beispiel gibt es auch auf allen anderen Steuertarifstufen. Denn wenn die Preise steigen, entspricht ein nomineller nicht dem realen Einkommenszuwachs. Um der „kalten Progression“ entgegenzuwirken, sind die Eckwerte des progressiven Steuertarifes an die Preissteigerungsrate anzupassen. Die jetzt beschlossene Änderung richtet den Einkommensteuertarif daher auf praktisch allen Stufen an der Inflationsrate aus. Nur der Steuersatz von 55 % greift weiterhin bereits für Einkommen ab genau 1 Million Euro.
Absetzbeträge steigen
Inflationsangepasst werden nicht nur die Grenzbeträge für die Tarifstufen laut Einkommensteuergesetz. Die neue Regelung hebt auch die Steuerabsetzbeträge (z. B. Alleinverdiener-, Alleinerzieher-, Verkehrsabsetzbetrag etc.) und eine Reihe weiterer für die Steuerbemessung maßgeblicher Grenzwerte an. Für das Jahr 2023 erfolgt diese Anpassung unmittelbar durch das Teuerungs-Entlastungspaket II. Danach löst die zwischen Juli des Vorjahres und Juni des laufenden Jahres eingetretene Inflation automatisch Tarifanpassungen aus – zu zwei Drittel der Rate. Die Entlastungsmaßnahmen für das restliche „Inflationsdrittel“ setzt die Regierung flexibel fest.
Klar ist: Das gesetzliche Aus für die kalte Progression lässt künftigen Regierungen deutlich weniger Spielraum für die – bisher so beliebten – Steuergeschenke vor Wahlen. Denn der Steuerzahler bekommt die Inflation schließlich schon laufend abgegolten. Lautstark angekündigte „größte Steuerreformen aller Zeiten“ sind daher wohl ein Auslaufmodell.
Zu beachten ist außerdem: Das vorliegende Gesetz passt nicht durchgehend alle einkommensteuerlich bedeutenden Beträge an die Geldentwertung an. Eine ganze Reihe von Werten bleibt – wie bereits seit Jahrzehnten – unangetastet! Dies betrifft unter anderem:
- den Veranlagungsfreibetrag (EUR 730,– seit 1988)
- das Werbungskostenpauschale (EUR 132,– seit 1988)
- Tag- und Nächtigungsgelder (unverändert seit 1990)
- die Umsatzgrenze für die Betriebsausgabenpauschalierung (EUR 220.000,– seit 1994)
- die Angemessenheitsgrenze bei PKW (EUR 40.000,– seit 2005)